Chemikerin und Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim spricht über ihren Weg in die Wissenschaft.
Für viele Menschen ist die Chemie ein „Buch mit sieben Siegeln“. Wie war das bei dir? Hast du in der Schule gemerkt, dass du dafür eine Passion hast?
In der Schule hat mir Chemie tatsächlich gar nicht so viel Spaß gemacht. Deswegen bin ich nachsichtig mit Leuten, die Chemie abgewählt haben. Aber ich hatte zur Chemie immer ein ganz anderes Verhältnis. Das liegt an meinem Papa, er ist auch Chemiker. Durch ihn habe ich Chemie im Alltag kennengelernt, sei es beim Einkaufen oder beim Kochen oder wenn er sogar meine Kosmetikprodukte erklären konnte. Ich habe Chemie gar nicht als Wissenschaft oder Schulfach wahrgenommen, sondern quasi als Lebensweisheit. Für mich war klar: Mein Papa ist Chemiker und weiß fast alles. Das war ziemlich cool!
Hast du gemerkt, dass du deswegen dann ganz anders an den Chemieunterricht rangegangen bist?
Der Unterricht war trotzdem schwierig. Er war sehr abstrakt. Aber ich wusste ja, dass Chemie ganz nah am Leben ist. Und ich fand es so cool, dass man mit seinen eigenen Händen Moleküle basteln kann. Und so habe ich mich dann auch für ein Chemiestudium entschieden.
War dir dann im Studium schon klar, dass du in dieser Wissenschaft auch promovieren und dein weiteres berufliches Leben verbringen wirst?
Ja, ich wusste, dass man in Chemie promovieren sollte, aber das fand ich ganz cool, denn ich war immer ehrgeizig. Es war aber sehr schwierig, sich für ein Studienfach zu entscheiden. Da hatte ich eine kleine Sinnkrise, weil ich dachte, ich kann doch nicht mit 18 Jahren entscheiden, was ich mein Leben lang machen werde. Aber bei Chemie dachte ich, damit kann ich ein Leben lang glücklich sein. Tja, und jetzt mach ich doch etwas anderes.
Hast du in deiner bisherigen Laufbahn gemerkt, dass es doch noch einige Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Wissenschaft gibt?
Ehrlich gesagt, hatte ich lange nicht drüber nachgedacht. Vielleicht auch, weil es mir nie aufgefallen war. Sexismus war eine Sache, die mich glücklicherweise im Studium nicht wirklich traf, zumindest merkte ich nichts davon. Erst in der Doktorarbeit bekam ich manchmal den Eindruck, dass man vielleicht erst eine gewisse Hierarchieebene erreichen muss, um das Gefühl zu bekommen, dass man hier hingehört. Zum Beispiel: Ich sitze im Meeting mit Forschungspartnern und habe meinen Masterstudenten dabei, den ich betreue. Und die Kollegen reden ausschließlich auf meinen Masterstudenten ein, den sie selbstverständlich für den Projektleiter halten. Da dachte ich: „Interessant, das ist also dieser Sexismus, von dem alle reden.“ Ich habe das zum Glück nie als ernsthaftes Hindernis wahrgenommen. Natürlich ist es nervig, die Kompetenz abgesprochen zu bekommen, aber das konnte ich relativ einfach klarstellen. Interessanterweise finde ich, dass es deutlich komplizierter ist, seit ich in den Medien arbeite. In der öffentlichen Wahrnehmung passt „junge Frau“ selten mit „wissenschaftlicher Kompetenz“ zusammen. Im Labor ist es mir etwas einfacher gefallen, meinen Platz einzunehmen, als in der Medienwelt.
Gab es Zeiten, in denen du dir dann gedacht hast, du hättest doch eher hinter den Kulissen bleiben sollen?
Nein, ich hatte bisher nie das Gefühl, dass mich mein Geschlecht aufhält. Im Gegenteil, ich denke, es ist gut, dass ich auffalle und vielleicht nicht der Norm entspreche. Wenn ich Klischees brechen kann, dann mache ich das sehr gerne.
Für viele andere junge Frauen fließt es jedoch mit in die Entscheidung ein, wenn sie daran denken, in ein Themengebiet zu gehen, in dem es noch keine Gleichstellung gibt. Welchen Rat hättest du an sie?
Ich kann nur sagen, was mein persönlicher Eindruck ist. Ich habe das Gefühl, dass der größte Unterschied in meinem Berufsfeld zwischen Männern und Frauen das Selbstbewusstsein ist. Es ist so leicht gesagt: „Traut euch mehr zu!“ Aber es ist umso schwerer, dies dann umzusetzen. Aber ich glaube daran, dass es keinen relevanten Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt, wenn es um naturwissenschaftliches Verständnis oder Kompetenz geht.
Wenn ich Nachrichten bekomme, dass ich Menschen dazu motivieren konnte, Naturwissenschaften zu studieren, freut mich das sehr. Es ist wichtig, dass man sich mit einem Berufszweig auch identifizieren kann. Und da kann Repräsentation in den Medien viel zu beitragen.