Vera Marie Strauch ist digitale Unternehmerin, Podcasterin und Gründerin der Female Leadership Academy. 2017 stieg Vera nach einer Konzernkarriere aus der Industrie aus, um ein digitales Bildungsunternehmen aufzubauen.
Was ist für dich der zentrale Punkt der New Work Bewegung?
Das ist ein großer Begriff, der auf die sehr lesenswerte Arbeit des Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurückgeht. Es ist ein großes Konzept und auch wenn sich die Frage stellt, ob wir überhaupt in der Lage sind, das vollumfänglich zu leben, finde ich es wichtig und gut, wenn wir uns auf eine Reise begeben und Sachen ehrlich und mutig ausprobieren.
Ich sehe dabei vor allem eine zentrale Frage: Wie können wir den Menschen in den Mittelpunkt stellen? Wie können wir unsere Herangehensweise umkehren – statt Menschen in Systeme zu pressen, die Systeme an Menschen anpassen? Wir wissen, dass vieles rund um das Konzept Arbeit dringend überholt und regelmäßig verändert werden muss. Diese Fragen sind nicht nur für uns Menschen wichtig, sondern halten auch viele positive Effekte für Organisationen und Gesellschaft bereit.
Dabei geht es nicht darum, alles über den Haufen zu werfen, sondern achtsam zu fragen: Was ist bewahrenswert und dient uns? Und: Was darf sich verändern?
Du setzt dich dafür ein, dass jeder seinen eigenen Stil im Job und im Leben findet. Warum glaubst du, fällt das vielen Menschen heute schwer?
Wir befinden uns in Zeiten des rapiden Wandels, der vor allem durch technologische Entwicklung in den letzten Jahren, mittlerweile Jahrzehnten, befeuert wird. Ich komme aus der Bauindustrie und habe schon vor mehr als zehn Jahren beobachtet, dass sich selbst in dieser eher traditionellen Branche viele spannende Möglichkeiten zur Veränderung auftun. Prozesse verändern sich grundlegend, Branchen öffnen sich einander, die vorher keinerlei Berührungspunkte hatten, Netzwerke werden wichtiger und die Zusammenarbeit verändert sich grundlegend – nicht zuletzt wegen vollkommen neuer Möglichkeiten, remote zu arbeiten. Das führt auch dazu, dass für persönliche Karrieren vollkommen neue Wege entstehen. Wir erfinden heute die Jobs von morgen.
Diese Freiheiten sind schön und gleichzeitig auch fordernd. Wer so privilegiert ist, viele Möglichkeiten zu haben, steht unweigerlich vor Fragen wie diesen: Was ist es denn eigentlich, was ich gern machen möchte? Welchem Sinn soll es dienen? Welche Zukunft wünsche ich mir für mich und uns als Gesellschaft?
Authentizität, Mut, Teilen – in deinem Podcast sprichst du viel über Werte, die uns allen eigentlich nicht neu sein sollten. Warum kommen diese Aspekte in der Arbeitswelt oft zu kurz?
Wir arbeiten in Systemen, die zum Teil unmenschlich sind, auch wenn sie nicht mit dieser Intention entwickelt wurden. Wir pressen uns in Arbeitszeiten und -modelle, die nicht zu uns und unseren Bedürfnissen passen – einfach weil wir es „immer schon so gemacht haben.“ Es lohnt sich, viele der Annahmen zu hinterfragen, auf denen wir Arbeit und Zusammenarbeit aufbauen. Ein Beispiel: Ich höre regelmäßig von der Überzeugung, dass „ein bisschen gesunder Wettbewerb” dazugehöre – auch innerhalb von Teams.
Das ist sehr widersprüchlich. Ich kenne keine Organisation, die sich keinen Teamgeist wünscht und wir wissen, dass vertrauensvolle Zusammenarbeit einen riesigen Unterschied – auch für unternehmerischen Erfolg – macht. Gleichzeitig wird durch Wettbewerb genau das Gegenteil gefördert: ein Gegeneinander statt eines Miteinanders. Wetteifern für die eigene Karriere statt Einsatz für die Sache. Intransparenz statt Offenheit. Kurz: Misstrauen statt Vertrauen.
Ich finde es spannend, solche Fragen zu stellen und Muster in der Tiefe zu verstehen. Dabei geht es nicht darum, wer was falsch macht, sondern gemeinsam mit Wohlwollen und Offenheit neue Wege zu finden.
Neuer Job, neue Position oder neue Aufgaben: Du sagst, Unsicherheit könne eine Stärke sein. Warum?
Es geht hier vor allem um discomfort, also ganz bewusst auch mal das Unbequeme zu wählen. Das ist zwar ein verletzlicher Akt, aber genau diese Verletzlichkeit ist ein unverzichtbarer Teil für die Führung und damit auch für starke Organisationskulturen. Um wirklich zu lernen, braucht es neue Erfahrungen und dafür müssen wir uns in neue Situationen außerhalb der eigenen Komfortzone begeben.
Dafür braucht es innere Stärke und Menschen, die bereit sind, Anfänger:innen zu sein, Fehler zu machen und diese auch ehrlich zu reflektieren. Lernen ist der große Faktor für die Zukunft, weil es das ist, was uns als Menschheit weiterbringt. Und ohne Unbequemlichkeit geht das nicht.
Wie schätzt du den Stand der Entwicklung in der Arbeitswelt ein? Sind wir hier teilweise noch zu langsam?
Ich sehe das optimistisch. Wir haben große Themen vor der Brust, was zum Beispiel Gerechtigkeit angeht. Im Bereich Diversität gibt es noch sehr viele Barrieren, die es aufzubrechen, und alte Strukturen, die es zu verändern gilt. Ich finde es gut, dass ich in der Wirtschaft viele Einzelpersonen und Organisationen erlebe, die sich diesen Themen annehmen und sich aufrichtig für faire und menschlichere Arbeitsbedingungen für alle öffnen. Das schafft Perspektive – für uns als Menschen und für unser Miteinander.
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