Anne-Kathrin Heier
Entwickelte bei EDITION F den Podcast Bereich weiter, brachte unter anderem LAB GAP auf den Weg – den Podcast über und mit Frauen in der Wissenschaft. Seit 2022 ist sie Editorial Lead.
Frauen müssen in die Wissenschaft! Female Empowerment durch weibliche Vorbilder ist deshalb gerade für Schülerinnen dringend notwendig, um verstaubte Rollenbilder endlich aus den Köpfen zu verbannen.
Meine Schulzeit war ein ziemlicher Kampf. Im Nachhinein finde ich dafür jede Menge Gründe, die ich damals nicht formulieren konnte. Jedenfalls nicht sofort: Arbeiterkind, mittellose Familie, ständig unterwegs, also immun gegen Traditionen mit meinen bis heute rastlosen Eltern – und ja: weiblich. Ausgerechnet ein Ort im tiefsten Bayern war das erste längere Zuhause. Und damals stieß ich als Neunjährige auf viele Irritationen, die weder von mir noch von meinen Eltern ausgeräumt wurden, weil sie für das einstige Verständnis nun mal „dazugehörten“ zum Leben einer Frau.
Der Druck war hoch. Ich lernte unentwegt Mathe. Aber die ständigen Kommentare, die die Mathematiklehrerin öffentlich in einer Wolke aus Zigarettenrauch und Kaffeegeruch in meine Richtung hauchte, bremsten mich aus. „Lass es einfach“. – „Es ist sinnlos mit dir.“ – „Wie kann man nur so schief denken?“ Und zu meinen Eltern sagte sie, ich gehöre nicht an diesen Platz, „oben“ auf dem Gymnasium. Das sind Sätze, die mir bis heute im Kopf hallen. Und schließlich wurde sie mich tatsächlich vorübergehend los.
„Ich wollte beweisen, dass Mädchen sehr wohl Mathe können. Und dass das einzige Mädchen im LK Chemie absolut richtig am Platz ist.“
Auf der Realschule hatte ich einen Mathelehrer, der mich bald beiseite nahm. „Wer hat dir beigebracht, dass du Mathe nicht kannst?“ Er wollte gar keine Antwort, sprach weiter: „Du musst deine Haltung zu den Dingen ändern. Du kannst Mathe. Sag dir das immer wieder: Ich kann Mathe. Geh mit einer Souveränität an die Aufgabe, auch wenn du sie nicht fühlst: Tu erstmal so. Sei konzentriert und stecke die Energie in die Lösung, nicht in das Problem.“ – Ein paar Jahre später war ich wieder auf dem Gymnasium. Leistungskurse Chemie und Deutsch. Ich war dorthin zurückgekehrt, weil ich es „ihnen zeigen wollte.“ Weil ich ihnen mit „einer anderen Haltung“ begegnen wollte. Ich wollte beweisen, dass Mädchen sehr wohl Mathe können. Und dass das einzige Mädchen im LK Chemie absolut richtig am Platz ist.
Heute arbeite ich bei EDITION F. Im vergangenen Jahr hatte ich hier die redaktionelle Leitung des Podcasts LAB GAP, moderiert von Victoria Müller. Neun hochrangige Wissenschaftlerinnen sprechen in diesem Podcast über ihre Wege, die größtenteils ziemlich steinig waren. Sie erklären allesamt in ihren Worten, wie überhaupt nicht selbstverständlich ihr Wunsch war, in Wissenschaft und Forschung als Frau Karriere zu machen.
„Es gibt kein einziges Land, bei dem die Gender-Balance im All so unausgewogen ist wie in Deutschland.“
Suzanna Randall
Eine von ihnen ist Dr. Suzanna Randall, Astronautin-Anwärterin, die zusammen mit ihrer Kollegin Dr. Insa Thiele-Eich aus 400 Bewerberinnen für ein Programm ausgewählt wurde, das „Die Astronautin“ heißt – mit dem Ziel, in diesem Jahr zur Internationalen Raumstation zu fliegen. Tatsächlich hat Deutschland bereits elf Menschen ins All geschickt: allesamt Männer. Keine einzige Frau. „Unbegreiflich“, findet Dr. Suzanna Randall. „Es gibt kein einziges Land, bei dem die Gender-Balance im All so unausgewogen ist wie in Deutschland.“ Dr. Suzanna Randall führt das auf diesen allgemeinen absurden Irrglauben zurück, der sich festgesetzt hat wie uralter Schimmel überall in der Gesellschaft: „Man sagt zwar nicht mehr, dass Frauen körperlich nicht dazu geeignet seien, ins All zu fliegen. Aber es gibt dieses soziale Vorurteil: Frauen sollten lieber nichts Gefährliches machen und lieber zu Hause bleiben.“
„Nicht die Menschen müssen so verändert werden, dass sie in die Struktur passen. Die Strukturen müssen verändert werden.“
Dr. Ellen Damm
Zu Hause bleiben. Darüber kann eine andere Wissenschaftlerin, die wir zu Gast hatten im Podcast, nur leise lachen. Dr. Ellen Damm war als Biogeochemikerin Leiterin des Teams „Biogeochemie“ der Mission „MOSAiC“ (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) auf dem Forschungseisbrecher Polarstern. Die Vorbereitung dauerte ganze zehn Jahre. Die MOSAiC-Expedition war eine vom Alfred-Wegener-Institut angeleitete internationale Arktisexpedition. Ziel der Expedition ist ein besseres Verständnis für die Zusammenhänge zwischen globalen Klimaprozessen und der zentralen Arktis. Dr. Ellen Damm hat drei Kinder und sie habe bei allen Schwierigkeiten, so erzählt sie im Podcast, von der Zweigleisigkeit profitiert. Aber dann sagt sie einen einen Satz, den ich sehr wichtig finde: „Nicht die Menschen müssen so verändert werden, dass sie in die Struktur passen. Die Strukturen müssen verändert werden.“ Sie spricht von einem Reformstau in Deutschland. Dazu gehöre auch, dass es Mädchen und jungen Frau sehr schwer gemacht werde, in MINT-Berufe zu gehen. Nach wie vor.
„Wir coden die Gesellschaft der Zukunft. Das müssen so viele so diverse Menschen wie möglich machen.“
Kenza Ait Si Abbou
Dass die Frauen, die bereits in diesen Berufen arbeiten, weitestgehend unsichtbar sind, dagegen engagiert sich Kenza Ait Si Abbou, Senior Manager Robotics and Artificial Intelligence bei der Deutschen Telekom IT in den Bereich Robotic und AI-Solutions. „Eine Maschine“, sagt Kenza Ait Si Abbou bei LAB GAP, „ist nicht automatisch neutral. Sie wird so diskriminieren, wie die Gesellschaft es tut. Sie lernt von den Daten, die wir ihr geben, die ein Abbild unserer Gesellschaft sind.“ Gerade im Bereich KI sei es deshalb wichtig, dass so viele so diverse Menschen wie möglich an der Codierung der Gesellschaft der Zukunft beteiligt sind. Kenza erhielt für ihre Arbeit den Digital Female Leader Award. Aber sie widerspricht laut, wenn sie in Interviews hört, sie sei die einzige Frau in ihrem Bereich. Das sei falsch. Die allerersten Programmiererinnen seien Frauen gewesen. Und auch heute arbeiten viele Frauen in ihrem Bereich – nur eben unsichtbar im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen.
„Ich habe viel Energie an unnötigen Stellen verloren und mich oft gefragt: Warum muss ich hier eigentlich permanent meine Frau stehen?“
Jessica Burgner-Kahrs
Dass Frauen unsichtbar sind in den MINT-Berufen, ist auch kein Wunder, wenn man sich die Podcastfolge mit Jessica Burgner Kahrs anhört. Sie studierte Informatik und entwickelte das erste Robotersystem für das automatisierte, lasergestützte Schneiden von Knochen. Schließlich forschte sie an der Vanderbilt University in Nashville – und wurde mit einem Förderprogramm zur Rückgewinnung deutscher Wissenschaftler*innen nach Deutschland zurückgeholt. An der Leibniz Universität Hannover betrieb sie Grundlagenforschung im Bereich der Kontinuumsrobotik, aber obwohl sie ganz vorne mit dabei war, bekam sie immer nur befristete Verträge. „Es war ehrlich gesagt anstrengend als Frau in einer MINT-Fakultät. Ich habe viel Energie an unnötigen Stellen verloren und mich oft gefragt: Warum muss ich hier eigentlich permanent meine Frau stehen?“ Jessica Burgner-Kahrs bekam ein Angebot von der Universität Toronto, die zu den besten 20 Universitäten der Welt zählt. Sie verließ Deutschland für ein diverseres Team und eine Universität, an der bereits die Hälfte aller Dekaninnen weiblich sind. „Exzellenz“, sagt sie, „gibt es nur, wenn Diversität besteht.“
Female Empowerment
Dass ich nach meiner Elternzeit bei EDITION F anfing zu arbeiten, hatte einen guten Grund. Ich selber habe eine vierjährige Tochter. Und ich wollte mit anderen Frauen vorangehen. Dazu gehört, dass ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen tolle Wissenschaftlerinnen sichtbar machen und damit Vorbilder schaffen möchte – für meine Tochter und überhaupt für alle nachfolgenden Generationen. Vorbilder, die sich hinstellen und laut sagen: „Für dich gibt es nicht nur Rosa. Dir stehen alle Farben zur Verfügung. Du hast alle Möglichkeiten. Lass dir nichts anderes einreden. Schau in alle Richtungen. Und dann treffe deine ganz eigene persönliche Entscheidung.“