Herr Plett, Sie haben viele Jahre als Angestellter in einem Pflegeheim gearbeitet. Wie würden Sie Ihre Erfahrungen als Angestellter in der Pflege beschreiben?
Man macht natürlich unglaublich viele Erfahrungen. Zusammenfassend würde ich vielleicht sagen: man schwimmt mit dem Strom. Man „schwimmt“ für den Bewohner, für sein Team, man gibt alles und vergisst oft ein bisschen sich selbst dabei. Nicht, weil jetzt alle Pflegekräfte Heilige sind! (lacht) Das passiert fast von ganz allein. Man hat Überstunden ohne Ende, man „springt ein“, weil es oft eben nicht anders geht. Man bekommt auch viel zurück, vor allem die Dankbarkeit des Teams und der Bewohner. Meine Erfahrung war letztlich, dass die Einrichtung selbst mehr hätte tun können, damit es den Mitarbeitern besser geht. Da spielen viele Dinge eine Rolle – die meisten drehen sich um den Personalschlüssel. Es ist kurz gesagt einfach zu viel zu tun für zu wenige Hände. So werden Mitarbeiter im Laufe der Zeit natürlich unzufriedener. Meiner Erfahrung nach zieht sich das von der Ausbildung bis zur Führungskraft: man schafft es eigentlich nie, allen Seiten gerecht zu werden. Und da man mit Menschen zu tun hat, will man für den Bewohner natürlich alles tun – der kann ja nichts für die Umstände, die Bezahlung oder die Arbeitszeiten. Das ist so eine Art „institutionalisiertes Helfersyndrom“.
Warum ist das mit der Pflege so kompliziert?
Ich glaube, das Ganze ist so kompliziert, weil hier das sehr Persönliche so mit dem Professionellen vermischt ist. Wenn ein Demenzkranker, der kaum noch spricht, dir die Hand auf die Schulter legt und „Danke“ sagt, ist das mehr wert als irgendein Gehalt, das lässt sich ja nicht „verrechnen“. Gleichzeitig ist es aber auch ein „ganz normaler“ Job, der eben irgendwie verrechnet werden muss.
Es gab also auch gute Erfahrungen.
Natürlich, großartige Erfahrungen, und die sind auch viel wichtiger. Vor allem die Erfahrung, wie viel in den Einrichtungen selbst, in den Teams möglich ist. Ich war selbst in einem unglaublich tollen Team, wir haben uns gegenseitig motiviert und unterstützt und so viel wie möglich selbst organisiert; man muss nicht immer gleich einen Sündenbock in der Politik oder so suchen, wenn es stressig ist, man kann sich ganz schön viel selbst helfen. Ich finde, erst wenn man da alles aus sich und der Situation rausgeholt hat, sollte man sich an die Träger wenden oder „politisch agieren“ – was ja immer noch oft genug absolut nötig ist. Wie in jedem Unternehmen fängt das Alles „oben“ an, beim Pflegedienstleiter oder Geschäftsführer. Wenn Sie unter Zeitdruck stehen, eigentlich nicht genug verdienen, fast Tag und Nacht sehr persönlich involviert sind – und dann werden „da oben“ Entscheidungen getroffen, die sich eindeutig nicht an Ihrem Arbeitsalltag orientieren, dann wird es ganz schwer, auf Dauer stark zu bleiben und eine gute Arbeit zu machen.
Ein Beispiel?
Da gibt es wirklich zigtausende Beispiele! Das können verwaltungstechnische Sachen sein, die zeigen, dass die Leitung eben nicht weiß, was wirklich gebraucht wird, aber auch eher persönliche Sachen. Man gibt seit Monaten 130 Prozent – und anstatt dass mal ein Lob kommt, nach dem Motto „Leute, ihr macht hier einen Wahnsinnsjob!“, hört man dann auch noch sowas wie „Du gehst jetzt mal auf eine andere Station, ihr seid mir hier zu dicke miteinander.“ Man arbeitet schon so viel, und dann wird auch noch gegen einen gearbeitet! Das hab ich manchmal so erlebt, und das habe ich über meine Bloggerei auch tausende Male von anderen gehört.
Haben Sie eine Lösung?
Lösung weiß ich nicht, aber wie wär‘s mit einem Vorschlag? Wer total weit weg „vom Bett“ ist, also fast nichts mehr mit den Menschen zu tun hat, die pflegebedürftig sind, der sollte eigentlich auch nicht maßgeblich mitreden, wenn es um die Organisation dieser Pflege geht. Oder andersrum: Wer was zu sagen hat, muss auch regelmäßig selbst sehen, wie es tatsächlich „am Bett“ aussieht. Das Problem ist oft, dass diese beiden Dimensionen in der Pflege zu weit auseinander liegen.
Viele arbeiten als Pflegekraft – wenige machen daraus eine „Influencer-Karriere“. Wie kam es zu Ihrem öffentlichen Engagement?
Also ich arbeite nach wie vor als Pflegekraft! Aber Sie merken ja schon, ich quatsche eben gerne (lacht). Im Ernst: Dass sich das so entwickelt hat, liegt eher an den Umständen, die ich gerade beschrieben habe, als an mir. Ich saß mal im Betriebsrat, da fragte die Geschäftsführung erstaunt, warum denn die Fluktuation so hoch wäre. Ja Mensch, weil die Leute sich aufopfern! Weil sie so viel geben und so wenig kriegen! Anstelle einer Gehaltserhöhung kriegen sie Dienstpläne, die keinen Sinn machen; statt eines neuen Personalschlüssels gibt es Praktikanten, die vom ersten Tag an als Vollzeit-Fachkraft auf dem Papier stehen; wo Strukturmaßnahmen nötig wären, gibt es Sparmaßnahmen – und so weiter. Über solche Sachen reden in der Pflege zigtausende. Ich rede bloß ein bisschen lauter.
Wie hat sich das damals eigentlich ergeben, warum sind Sie in die Pflege gegangen?
Ganz klassisch: Ich wollte „irgendwas mit Menschen“ machen, was Soziales. Also hab ich ein Praktikum im Altersheim gemacht, und da hab ich den Beruf irgendwie lieben gelernt. Das war schon auch ein bisschen komisch am Anfang. Als 17-jähriger Bushido-Fan stehst du plötzlich vor einem alten Menschen, der auf deine Hilfe angewiesen ist. Da muss man schon mal durchatmen. Aber heute weiß ich genau, dass mir das unendlich viel gegeben hat. Hätte ich nicht Altenpfleger gelernt, wäre ich heute garantiert ein ganz anderer Sandro.
Was sagen Sie jungen Leuten, die schon das Gesicht verziehen, wenn Sie nur das Wort „Altenpfleger“ hören?
Ach, ich will da keine klugen Ratschläge verteilen. Ich kann nur aus eigener Erfahrung berichten, dass es keinen Sinn macht, da kategorisch zu sagen „Das wär nix für mich!“. Wenn mir mit 16 jemand gesagt hätte „Sandro, du wirst mal Altenpfleger – und du wirst es lieben! Du wirst drüber bloggen und im Fernsehen drüber reden!“, hätte ich ja auch nur gelacht. Aber das Ding bei der Altenpflege ist eben, dass wir alle mal alt werden. Wir alle können zum Pflegefall werden, wir alle haben Eltern und Großeltern, es geht in diesem Beruf einfach um das wahre Leben. Man lernt Menschen wirklich kennen, man macht etwas intuitiv Sinnvolles. Das geht ans Herz, das geht tiefer als die meisten Sachen, mit denen man sich als Jugendlicher so beschäftigt.