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Investment Guide

Hausse oder Tanz auf der Titanic?

Foto: shutterstock_2306373747

Heiko Thieme

Globaler Anlagestratege

Meine Überschrift für die Beilage in der Frankfurter Allgemeine Zeitung lautete im Juli vergangenen Jahres – Die Börsenhausse geht weiter! Heute, knapp 14 Monate später, kann sich die Börsen Bilanz sehen lassen. Der DAX stieg mit knapp 14 % deutlich mehr als der Durchschnitt für einen solchen Zeitraum seit seiner Erstnotierung von 1988. Die US-Börsen legten seit Ende Juli 2023 sogar deutlich mehr zu. Der Dow Jones kommt ohne Dividenden auf ein Plus von 16 %, während der S&P 500 Index und der Freiverkehrsmarkt (NDX) inklusive Dividenden sogar um fast 25 % stiegen. Noch bessere Ergebnisse mit plus 33 % erzielte Gold mit einem Rekordhoch von fast 2.600 $ pro Unze. Den japanischen Nikkei nannte ich 2022 – 2023 auf meiner täglichen Marktprognose unter der 27.000 Marke attraktiv. Nach dem Rekordhoch von 39.000 Punkten Ende 1989 fiel der Nikkei in 19 Jahren bis März 2009 über 80 %, bevor eine Erholung einsetzte. Es dauerte weitere 15 Jahre, bis zum Februar in diesem Jahr, bevor das Rekordniveau von 1989 überschritten wurde – insgesamt über 34 Jahre! Viereinhalb Monate später erreichte der Nikkei am 10. Juli sein neues Rekordhoch von fast 42.500 Punkten. Innerhalb von nur vier Wochen fiel der Nikkei Index um 22 % aufgrund einer massiven Zinsspekulation – ein sogenannter ´carry trade´ in Höhe von angeblich dreistelligen Milliarden Beträgen! Dies war der größte Index-Einbruch in so kurzer Zeit seit dem Börsencrash vom 19. Oktober 1987 an der Wall Street. Ich habe dies hautnah erlebt, da ich für den US-Aktienhandel der Deutschen Bank verantwortlich war. Ich nannte es damals eine einmalige Kaufchance. Es dauerte nur 22 Monate, bevor der Dow Jones im August 1989 ein neues Rekordhoch erreichte. Mein Leitmotiv war und ist: Der Pessimist ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst!

Wie sieht die aktuelle Situation für Wirtschaft, Politik und Börse aus? Die Weltwirtschaft ist mit etlichen Problemen konfrontiert, die ich aus Platzgründen nur punktuell anmerken kann.

1) China fällt momentan als zuverlässige Wachstumslokomotive für die Welt aus! Der Immobilienmarkt, der jahrelang ein wesentlicher Baustein für die chinesische Wirtschaft war und fast 30 % vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausmachte, ist heute ein enormer Belastungsfaktor. Die Immobilienblase ist geplatzt und nimmt ein unvorstellbares Ausmaß in Billionenhöhe an – eine 1 bis 4 mit neun Nullen! Allerdings sind die unmittelbaren Auswirkungen und Belastungen auf China beschränkt. Privatpersonen haben Bauunternehmen Geld gegeben oder versprochen, um Wohnungen zu bauen. Im Gegenzug wurden mehr Wohnungen gebaut als vertraglich vorgesehen waren. Fast 90 Millionen Wohnungen stehen leer, genug, um ganz Deutschland unterzubringen! Die plötzliche Finanzschwäche stellt die angestrebte Wachstumsrate von 5 % in Frage. Der interne Konsum kommt zum Stocken. Die für den Binnenmarkt bestimmte Produktion jetzt im Ausland zu verkaufen, kreiert eine empfindliche Marktverzerrung. Die Handelspartner drohen mit Strafzöllen, um Dumping Preise zu vermeiden. Ein internationaler Gedankenaustausch ist dringend notwendig, um einen Handelskrieg zu vermeiden, bei dem jeder verliert.

2) Deutschland ist momentan der `kranke Mann´ Europas! Das aktuelle Wirtschaftswachstum liegt nur knapp über dem Nullpunkt. Auch im kommenden Jahr wird es nicht leicht sein, über die Ein-Prozent-Marke zu kommen. Der deutsche Mittelstand, das Rückgrat der Wirtschaftsstärke, scheint desillusioniert. Zu viel Bürokratie und Steuerbelastungen demotivieren. Die nächste Generation zieht es vermehrt ins Ausland. Hier ist auch die Politik in Brüssel entscheidend gefordert. Ein Dialog mit allen Beteiligten wäre ein erster Schritt. Die Zeit drängt jedoch.

3) Indien – die inzwischen größte Bevölkerungsgruppe – beeindruckt mit einem Wachstum von deutlich über 5 %. Gelingt es hier, die Führungsrolle von China in den kommenden 20 Jahren zu übernehmen, bevor die Zeit für den afrikanischen Kontinent beginnt?

4) Lateinamerika kann seine Korruption bisher nicht überwinden und dennoch sollte es auf dem Radarschirm bleiben!

5) Der Krieg in der Ukraine kann nicht gewonnen werden, wenn Europa und die USA weiterhin notwendige Verteidigungswaffen zurückhalten. Zu wenig – zu spät, ist keine erfolgversprechende Strategie. Putin scheint hier den längeren Atem zu haben.

6) Eine brauchbare Lösung in Gaza und im Westjordan Gebiet ist nicht in Sicht. Menschenrechte sollten jedoch überall gelten. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat hierzu eine klare Meinung bezogen, die bisher leider ignoriert wird.

7) Die US-Wahlen am 5. November sind das wichtigste politische Ereignis. Ein Sieg von Kamala Harris wäre ein Sieg der Demokratie! Gewinnt Trump, so ist die Führungsrolle der USA in Frage zu stellen. Trump ist und wirkt alt. Drohungen und Plattitüden sind kein Erfolgsrezept! Visionen und Hoffnung sind gefragt. Die Zeit für eine Frau im Weißen Haus ist gekommen! Kann die Börse die Bremsklötze in der Politik und Wirtschaft überwinden? Es ist möglich, erfordert aber auch einen Klimmzug. Die Inflationsrate kann im nächsten Jahr die angestrebte 2 % Marke erreichen! Auch 2026 wäre akzeptabel. Künstliche Intelligenz bleibt eine treibende Wirtschtskraft für mindestens drei Jahrzehnte!

Mein Kursziel für den Dow Jones bis Jahresende geht bis zu 42.000, der S&P 500 kann die 6.000 Marke im Blickfeld haben, während der Freiverkehrsmarkt (NDX) am Jahresende die 20.000 Marke wieder nehmen kann. Der DAX kann die 20.000 Marke sehen. Insgesamt rechtfertigt Amerika Investitionen von 40 %, davon eine Hälfte (20 %) in ETFs und die andere Hälfte in Einzelwerte mit jeweils maximal 3 %. In Europa insgesamt 30 %, davon 15 % in ETFs und den Rest in Einzelwerte (6-8), jeweils 5 % in China und Japan über 2 ETFs, 5 % in Gold und 3 % in Bitcoin, obwohl es für mich wertlos ist. Hebelprodukte 5 – 10 % und bis zu 5 % in Sondersituationen. Fazit: 2025 ist eine Herausforderung für die Börsen mit meist nur einstelligen Zuwachsraten. Mit einer Baisse oder einem Crash rechne ich jedoch nicht.

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