Übergewichtige haben im Leben nicht nur ein paar Pfunde mehr. Laut Studien kämpfen sie auch mit deutlich mehr Ressentiments. Dabei gehören sie nicht zu einer Minderheit.
Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin. Denn dick sein ist ’ne Quälerei.“ So trällerte mal Marius Müller-Westernhagen in den 70er-Jahren. Erst kürzlich erwähnte er im Interview, dass sein Song ironisch gemeint war und er die Gemeinheiten aufzählen wollte, denen deutlich rundere Menschen ausgeliefert sind. Angesichts der Diskriminierungen, die Übergewichtige zum Beispiel täglich in der Arbeitswelt erleben, würden viele dem Wort Qual wohl zustimmen.
Nachteile im Beruf
Im Berufsalltag leiden sie nämlich faktisch unter Nachteilen. So untersuchten Tübinger Wissenschaftler vor ein paar Jahren Vorurteile unter Personalentscheidern und fanden bei einer experimentellen Studie heraus: Übergewichtige schnitten bei ihnen schlechter ab. Die Wissenschaftler befragten dafür 127 erfahrene Personalentscheider.
Experimentelle Studie unter Personalern
Um mögliche Vorurteile isoliert, also unabhängig von anderen Einflüssen, erfassen zu können, wählten die Wissenschaftler ein experimentelles Design. So wurden Personalentscheidern sechs Fotos vorgelegt, auf denen jeweils eine Person abgebildet war. Alle Abgebildeten waren ungefähr gleich alt und hatten einen vergleichbaren sozioökonomischen Status, aber unterschiedliches Körpergewicht. Um Verzerrungen zu vermeiden, trugen alle Personen auf dem Foto ein weißes T-Shirt und eine Jeans. Die Studienteilnehmer hatten die Aufgabe, einzuschätzen, welchen Beruf die sechs Personen ausüben. Dafür konnten sie aus einer Reihe von vorgegebenen Berufen wählen. Darüber hinaus sollten sie diejenigen Personen benennen, die ihrer Meinung nach in einem Bewerbungsgespräch um eine Abteilungsleiterstelle in die engere Wahl genommen würden.
Unbewusste Vorurteile
Das Ergebnis: In beiden Fällen schnitten die Übergewichtigen sehr schlecht ab. Ihnen wurde fast nie ein Beruf mit hohem Prestige zugetraut und sie wurden ebenso selten für eine Abteilungsleiterstelle ausgewählt. Die Vorurteile gegenüber Übergewichtigen treffen dabei besonders stark Frauen. „Das Ergebnis hat hohe Relevanz“, so Prof. Stephan Zipfel, Leiter der Studie. „Personalentscheider sind ja in der Regel viel besser als der Normalbürger ausgebildet, unabhängig von Vorurteilen zu entscheiden. Und dennoch trauen sie im Experiment den Adipösen sogar noch deutlich weniger zu, Führungspositionen zu bekleiden, als dies in der Realität der Fall ist.“ Für Zipfel spiegelt dieses Ergebnis sehr gut die unbewusst vorhandenen Vorurteile von Personalentscheidern gegenüber Adipösen wider, gerade weil in diesem Fall keine anderen Informationen für die Einschätzung zur Verfügung standen als das Foto.
Weniger Verdienst
Bei beiden Geschlechtern sinken damit auch die Verdienstmöglichkeiten. Studien aus dem angloamerikanischen Raum bestätigen diese Vorbehalte. Dabei gehören Übergewichtige nicht zu einer Minderheit: Knapp ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung, also rund 19 Millionen Menschen, ist von der Volkskrankheit Adipositas hierzulande betroffen. 1,4 Millionen leiden sogar an extremer Adipositas.
Unter Kollegen gelten Übergewichtige als angeblich fauler, emotional unstabiler, unattraktiver und undisziplinierter. Noch ist es zudem in Deutschland rechtlich nicht verboten, jemanden wegen seines Aussehens zu diskriminieren. Übergewichtige haben also keine Möglichkeit, sich auf dem Gesetzeswege gegen Mobbing oder gar Kündigung zu schützen.