Immer mehr erfolgreiche Startup-Unternehmer(innen) engagieren sich politisch. Sie möchten mitgestalten, sofern man sie lässt.
Jan Thomas
ist Gründer und Geschäftsführer von Startup Insider, einem der führenden Informationsmedien der deutschen Startup-Szene. Zuvor war er Herausgeber der bekannten Startup Magazine Berlin Valley und the Hundert sowie diverser Event-Reihen. Den täglichen Newsletter von Startup Insider sowie weitere Informationen findet man unter startup-insider.com
Grade hat der Lebensmittelkonzern Oetker den Münsteraner Lieferdienst Flaschenpost übernommen.Kolportierter Kaufpreis: Eine Milliarde Euro. Und das für ein gerade mal vier Jahre altes Unternehmen. Auch wenn sich einige ob der Summe die Augen reiben dürften – es verdeutlicht den Wert, den ein Unternehmen schaffen kann, das Algorithmen für eine optimierte User Experience nutzt. An deren Ende steht hierbei meist der direkte Kundenzugang. Flaschenpost „besitzt“ den Kunden, den es einmal akquiriert hat, dauerhaft. Und genau das – so haben wir es von den führenden Tech-Unternehmen gelernt – generiert in der digitalen Welt begeisterte Nutzer und somit den höchsten Wert. Die Königsdisziplin. Viele Marktexperten sind sich daher einig: Der genannte Kaufpreis für Flaschenpost war sogar ein Schnäppchen.
Ganz anders die Situation in der Politik: Während sich die Mission erfolgreicher Startups zusammenfassen lässt in „Aufbruch und Umbruch“ – neudeutsch „Disruption“ – und dabei dank neuer Technologien, Automationen und schlanker Prozesse nacheinander sämtliche etablierten Industrien und Märkte in immer höherer Taktung umgekrempelt werden, scheint die Politik bislang weitestgehend immun gegen diese Entwicklungen und deren inhärenter Geschwindigkeit. Weder die Gesetzgebung, noch die Rechtsprechung oder die Verwaltungen nutzen die Potenziale aus, die Digitalisierung oder gar Algorithmen, Künstliche Intelligenz und Blockchain böten. Der unambitionierte Digitalisierungsgrad der deutschen Schulen, der sich in der Corona-Pandemie offenbart hat, ist dafür ein trauriges Beispiel.
Und so etwas wie einen direkten Kundenzugang (wobei der Kunde ja in diesem Fall der Bürger ist), kennt man in der Politik bestenfalls von punktuellen Wahlkampfveranstaltungen aus der Fußgängerzone.
In Folge wird die Kluft zwischen dem, was ginge, und dem, was tatsächlich passiert, tagtäglich größer. User-Experience: Fehlanzeige. Echtzeit-Feedbackkanal: Nicht vorhanden. Kein Wunder also, dass der Bürger dies schulterzuckend goutiert mit „die da oben…“.
Aber es gibt Hoffnung: Immer mehr Startup-Unternehmer(innen) zieht es in die Politik. Um einige zu nennen: Verena Hubertz, Gründerin von Kitchen Stories, die für ein Direktmandat für den Bundestag kandidiert. Oder Robert Maier, der Gründer von Ladenzeile, der Ende 2019 für den SPD-Vorsitz kandidierte. Und auch der erfolgreiche About-You-Gründer Tarek Müller hat angekündigt, mit 40 Jahren von der Wirtschaft in die Politik zu wechseln. Oder auch die beiden Vorzeige-Unternehmer*innen Verena Pausder und Waldemar Zeiler, die soeben hoch politische Bücher veröffentlicht haben. Pausders „das neue Land“ liest sich wie ein Maßnahmenkatalog für Deutschland und könnte gut als Programm einer noch zu gründenden Partei verstanden werden, während Einhorn-Gründer Waldemar Zeiler mit „Unfuck the Economy“ eine Brandrede für einen lebenswerten Planeten veröffentlicht hat.
Ging es den Startup-Unternehmer(innen) am Anfang eher um den Dialog mit der Politik, um das vorsichtige Annähern und den Lobbyismus in eigener Sache, so werden die Ambitionen ernsthafter. Das Mitgestalten-wollen gerät augenscheinlich in den Mittelpunkt. Und das ist großartig, denn Startup-Unternehmer gehören zur Avantgarde der „think different“-Kohorte. Sie sind zumeist gebildet, wissbegierig, kosmopolitisch, zukunftsorientiert und praxiserfahren. Sie gehören zu „Generation digital“. Und sie sind unbequem, akzeptieren kein Nein und auch keinen Status Quo. Sie sind Querdenker im positiven Sinne. Aber sie haben auch verstanden, dass Deutschland keine Insel ist, sondern ein rauher internationaler Wettbewerb herrscht. Und dass die aktuelle Umsetzungsgeschwindigkeit nicht ausreicht, um die Zukunft dieses Landes zu sichern, während Gelder oftmals noch für rückwärtsgewandte Projekte allokiert werden.
Man kann uns allen nur wünschen, dass die Politik diese Unternehmer*innen mit offenen Armen empfängt und sie nicht als Bedrohung versteht. Hört man den aktuellen Interviews von Verena Pausder zu, klingt es leider noch nicht nach „rotem Teppich“. Das sollte sich schleunigst ändern.