Lea-Sophie Cramer
Lea-Sophie Cramer ist Unternehmerin, Angel Investor und Keynote Speaker. Die Gründerin hat viele Jahre Amorelie geführt und trat 2020 als CEO zurück. Im Interview spricht Lea über den Mut, neue Wege zu gehen, über Softwareupdates in der Bildung und über Wüstenpinguine.
Die New Work Bewegung hat viele Dimensionen. Was macht die Zukunft der Arbeit für dich aus?
Teil meiner Mission ist es, dass die Wirtschaft und damit auch die Arbeit mutiger, menschlicher und diverser wird. Es geht nicht mehr darum, dass letzte bisschen Logik aus einer Person herauszubekommen, sondern es geht darum, dass Leute sich am Arbeitsplatz sicher und wohl fühlen und in einem Setting sind, in dem sie das Maximum geben können. Dafür gehört für mich, den Menschen hinter der Position zu sehen. Das war bei mir auch nicht immer so. Ich bin auch mit dem Verständnis aufgewachsen: „Privates gehört nach Hause.“ Ich glaub aber, dass wir mit all unseren Facetten zur Arbeit kommen sollten. Themen zu Hause beeinflussen schließlich auch die Arbeit. Das sollte zwar keine Ausrede für schlechte Leistung sein, aber eine Arbeitswelt, in der das anerkannt und darauf eingegangen wird, führt zu einer besseren Performance. Zum Thema Menschlichkeit gehört auch das Thema Flexibilität. Arbeitgeber sollten sich darauf einstellen, wie Arbeitnehmer am besten ihre Leistung bringen können. Und das muss nicht an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit sein. Es gibt Nachteulen und es gibt Frühaufsteher. Warum müssen die alle Nine to Five arbeiten?
In der klassischen Betriebswirtschaft wird oft die Frage behandelt, wie Mitarbeiter motiviert werden können. Sollten Unternehmen sich aber nicht viel öfter die Frage stellen, welche Teile der Organisation demotivierend wirken?
Ich selbst habe 2018 Erfahrungen mit Burnout gemacht. Ich hatte eine Vorstufe davon und dank therapeutischer Hilfe bin ich da gut rausgekommen. Daraus habe ich gelernt, was der Hauptgrund dafür ist, dass Menschen in Burnout verfallen oder einfach nicht mehr leistungsfähig sind. Menschen wollen sich wirksam und wertvoll fühlen. Ich sehe es als Aufgabe von Organisationen an, diese Selbstwirksamkeit und Wertschätzung für ihre Teammitglieder zu ermöglichen. Wir als Arbeitgeber haben die Verantwortung, die richtigen Menschen mit den richtigen Fähigkeiten für unser Unternehmen auszusuchen, sie weiterzubilden und sie auch gehen zu lassen, wenn es nicht mehr passt. Das heißt auch Personen aus einem Kontext zu nehmen, in dem sie nicht weiterkommen. Ich denke da immer an das Pinguin-Prinzip von Eckart von Hirschhausen: „Wenn du ein Pinguin in der Wüste bist, liegt es nicht an dir, dass es nicht flutscht. Da bist du einfach nicht in deinem Element.“ Daran glaube ich zu 100 Prozent.
Für jede Person gibt es einen Kontext, in dem sie ihre Stärken komplett ausspielen kann.
Was ist dieser Kontext für dich? Was treibt dich an?
Für mich ist das Unternehmertum wie für Designer die Mode, ein Weg mich auszudrücken. Dazu habe ich eine riesige Portion Neugier. Ich bin unglaublich interessiert daran, wie die Welt funktioniert, wie Firmen funktionieren, wie verschiedene Branchen funktionieren. Ich beschäftige mich oft mit Dingen, mit den ich nie etwas zu tun haben werde – z.B. Gebäudesanierung. Ich frage ich mich einfach: Wie funktioniert eigentlich dieser Bereich und was müsste man machen, wenn man dort erfolgreich sein wollen würde? Ich bin aber auch jemand, der Anerkennung sucht. Viele sagen heute, dass du dir die Anerkennung selbst geben musst. Ich bin da nicht so streng. Ich möchte anderen zeigen, dass ich was kann, und es macht mir Spaß, mit meinen Fähigkeiten in einen Wettbewerb zu gehen. Das ist wie bei Leistungssportlern. Da würde man es ja auch nicht schlecht bewerten, dass sie viel trainieren und laufend untereinander im Wettbewerb stehen. Das gehört einfach dazu. Und bei Unternehmerinnen und Unternehmern ist es ähnlich.
Nach 7 Jahren an der Spitze deines Startups Amorelie bist du als CEO zurückgetreten. Woher nimmst du den Mut, neuen Wege zu gehen?
Erfolgreiche Menschen unterscheiden sich oftmals dadurch, dass sie mutiger sind, sich aus Kontexten rauszunehmen, die für sie nicht mehr zielführend sind – wie der Pinguin in der Wüste. Ich würde mir zuschreiben, dass ich ein Gespür dafür habe, wann ein Umfeld nicht mehr zu Erkenntnisgewinn führt. Der Mut kommt auch daher, dass ich weiß, dass ich für ein glückliches Leben nicht so viel brauche: Ich würde auch wieder in meiner Studenten-WG klarkommen, wenn alles schief geht. Ich habe nicht diese existenzielle Angst. Und ich habe totales Vertrauen darin, dass ich Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben habe, die irgendwo gebraucht werden. Ich weiß, dass ich anpassungsfähig genug bin, in verschiedenen Settings mein Glück zu finden. Ich weiß, dass es von außen anders wahrgenommen wurde. Mir wurde zum Beispiel von vielen Headhuntern gesagt, dass ich meinen Marktwert schädige, wenn ich Amorelie verlasse, ohne direkt eine neue Position zu starten. Zum Glück bin ich ja aber kein Produkt, an mir hängt kein Preisschild. Keiner kennt mich so gut wie ich selbst und deswegen kann mir auch kein Headhunter sagen, was das Beste für meinen Lebensweg ist.
Du hast 2020 ein „Year of Learning” gemacht. Was war dein größtes Learning und wie konntest du dies in diesem Jahr umsetzen?
„Hard decisions, soft life – soft decisions, hard life.” Manche Entscheidungen sind sehr hart und müssen auch betrauert werden. Aber sie erleichtern dein Leben, und zwar im Privaten und im Beruflichen. Danach habe ich in den vergangenen Monaten gelebt. Ich wollte dieses Jahr wieder gründen, habe aber gemerkt, dass mein Setup noch nicht bereit ist. Ich wurde gerade am Kreuzband operiert und humple immer noch auf Krücken. Dazu bin ich mitten in einer Coachingausbildung und habe viele andere Projekte. Ich muss da auch ehrlich zu mir sein: Es ist einfach noch nicht der Moment und jetzt verschiebe ich es um ein Jahr. Das war solch eine harte Entscheidung, hinter der man auch stehen muss, ohne wehmütig zu sein. Mein Ziel ist es auf jeden Fall nächstes Jahr wieder zu gründen, weil ich glaube, dass Unternehmertum der Deckel für meinen Topf ist.
New Work funktioniert nur mit einer mitarbeiterzentrierten Organisation. Was glaubst du ist aktuell die größte Baustelle bei traditionellen Unternehmenskulturen?
Meiner Meinung nach sind es drei Hauptthemen, die Unternehmen zur Zeit Bauchschmerzen bereiten. Ein Thema ist auf jeden Fall Mitarbeiter-Engagement. Laut Gallup-Index hat Deutschland nur 17% wirklich engagierte Mitarbeiter, die sich mit ihrem Unternehmen verbunden fühlen. Das heißt über 80% machen quasi nur Dienst nach Vorschrift. Das ist der Hauptpunkt, an dem man andocken muss. Wie bekomme ich die Menschen wieder dahin, dass sie sich einbringen wollen und dass sie die Arbeit als positiven Teil ihres Lebens wahrnehmen? Für traditionelle Unternehmen ist das eine zentrale Frage. Ein weiterer Teil ist die Transparenz und Nahbarkeit in der Führung. Es gibt immer noch sehr viele tradierte Führungsprinzipien, bei denen Mitarbeiter nur wissen dürfen, was sie in ihrer Position konkret betrifft, weil mit zu viel Transparenz die Konkurrenz vermeintlich die Zahlen herausfinden kann. Dabei wird aber vergessen, dass man damit dem Purpose, dieser Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit, schadet. Während der Corona-Pandemie hat man zudem stark gemerkt, dass wir eine Innovations- und Skillgap haben. Wir haben in Deutschland einfach zu wenig Innovationstreiber und einen riesigen Fachkräftemangel. Von den Tools und Techniken, die unser Leben in der Pandemie erleichtert haben, kam keine Innovation aus Deutschland. Wir werden einfach abgehängt und das bereitet mir wirklich Sorge.
Durch die Pandemie ist auch der Schrei nach digitaler Bildung immer lauter geworden. Kann das Bildungssystem mit der rasanten Entwicklung in der Wirtschaft überhaupt mithalten?
Nein, absolut nicht. 65% der heutigen Grundschulkinder werden in Jobs arbeiten, die es heute noch nicht gibt. Wie können wir sie dafür ausbilden? Derzeit noch gar nicht. Aber selbst die Dinge, die wir machen können, tun wir aktuell nicht. Digitalisierung ist immer noch ein Fremdwort an vielen Schulen. Mit digitaler Bildung ist in Deutschland noch viel zu viel Angst behaftet. Natürlich braucht man logisches Denken, Mathematik und Naturwissenschaften – keine Frage. Dieser krasse Fokus auf MINT-Fächer, den wir in Deutschland immer noch haben, ist aber vielleicht etwas überholt. Kreative Fächer sollten mehr Beachtung finden, weil die nämlich Innovation und Unternehmergeist fördern. Man darf Bildung nicht für in den Stein gemeißelt sehen, sondern muss sie als sich veränderndes Kontinuum betrachten. Wir müssen eine Art Softwareupdate für in der Bildung durchführen. Es ist nötig, dass wir ein System etablieren, das viel schneller auf die Veränderungen und die Bedürfnisse reagieren kann, die die Kinder von Morgen haben. Und das nicht alle paar Jahre, sondern als kontinuierlicher Lernprozess. Auch bei der Bildung brauchen wir mehr Mut.
Worin siehst du die größte Disruption der Arbeitswelt in den kommenden Jahren?
Die Vereinbarkeit von Leben und Arbeit ist – auch durch Corona – viel stärker in den Vordergrund gerückt. Unser Grundverständnis von Arbeit hat sich stark verändert. Eine Hälfte der Deutschen möchte nicht zum selben Arbeitspensum wie vor der Pandemie zurück. Das heißt nicht, dass Menschen nicht mehr arbeiten wollen. Aber wir wollen nicht mehr arbeiten wie vorher. Wir wollen nicht mehr an sinnlosen Sachen arbeiten, die dann im Papierkorb landen. Wir wollen nicht mehr unsere Zeiten aufschreiben müssen, wenn es doch eigentlich um unseren Output geht. Wir wollen als menschlich gesehen werden und uns nicht als Nummer in unserem Betrieb fühlen. Wir haben gelernt, dass es effizientere Wege gibt, Dinge zu tun, und die wollen wir auch nutzen können. Das wird eine der großen Herausforderungen. Dazu kommt natürlich auch die Generation Z, die noch extremer ist als wir, als die Generation Y. Wir waren schon die Hinterfragenden, die immer wissen wollten, warum wir das alles tun. Heute muss man jungen Menschen erst einmal beweisen, warum sie für einen arbeiten sollen. Das Machtverhältnis hat sich verändert und das ist nicht so schlecht. Man kann sich als Arbeitgeber auch ein bisschen strecken dürfen.
Was sind deine Ziele für 2022?
Ich möchte gerne wieder gründen. Das ist aber immer ein kreativer Prozess. Man braucht das richtige Thema zur richtigen Zeit mit dem richtigen Team. Das ist nicht so einfach, sowas lässt sich schwer planen. Ich glaube trotzdem daran, dass es nächstes Jahr was wird und daran werde ich arbeiten. Ich will wieder ein Unternehmen gründen und es so aufbauen, wie Unternehmen der heutigen Zeit laufen sollten.